Eigenartig, dass die Leute, die das Leben unbedingt voll auskosten zu müssen meinen - die Solo-Weltreisenden, die Extremkletterer, die Apnoetaucher, die Fugu-Esser - ständig im Namen des Lebendigseins, des Sichamlebenfühlens, Dinge tun, die genau dieses Leben gefährden, verkürzen, verschlechtern oder beenden könnten. Als ob das Leben nur dann in seiner reinsten Form spürbar würde, wenn es akut bedroht ist. Grosse Höhe wird schliesslich auch intensiver erlebt, wenn man die Nasenspitze über einen Felsvorsprung hinausschiebt, als wenn man auf dem Rücken am Ufer eines Bergsees in den Himmel schaut. Und so richtig am Mark zehren kann das Gefühl von Höhe ja erst im freien Fall.
Muss man vielleicht ein bisschen sterben wollen, um wirklich leben zu können?
Möwen sind viel grösser, als man meint. Sie sind menschenscheu, sogar hier. Vermutlich nur, weil sie keine Ahnung haben, wie furchterregend sie mit ihren scharfen Schnäbeln eigentlich sind. Vorhin habe ich eine jagen sehen. Das Wasser hier in der Bucht ist seicht, aber der Wind und die Gezeiten bewegen es immerzu. Diese Möwe hat also vom Felsen neben mir aus ins Wasser geschaut, ist dann aufgestiegen, hat mit einigen prekären Manövern den Wind ausgetänzelt wie ein Boxer seinen Gegener, ist dann über die Wasseroberfläche gesaust und hat im ungebremsten Flug einen Fisch aus den Wellen gepflückt. Als wäre es nichts! Die hat kein Gefühl dafür, wie sehr wir sie fürchten müssten. Einmal kräftig mit diesem Schnabel in einen Menschen gehackt - und offen ist die Halsschlagader. Oder die klaffende Wunde, bereit für eine tödliche Infektion. Ich verzichte darauf, ihr das alles zu erklären. Manchmal ist es für alle besser, wenn sich jemand seiner Macht nicht voll bewusst ist.
Es ist lange genug her, seit ein Film so viel versprochen hat, dass man sich ein halbes Jahr vor Kinostart darauf freuen konnte. Leider hat auch der hier die Krankheit, bei der im Trailer schon wahnsinnig viel verraten wird. Aber wenn man ihn jetzt schaut, hat mans im Januar wieder vergessen und kann voller uninformierter Vorfreude ins Kino gehen. Au ja!
Mein erklärter Lieblingsmusiker hat mich mit der Veröffentlichung seiner letzten Single bitterst enttäuscht. Aus pietätsgründen nenne ich keine Namen.
Um das wieder gut zu machen, hat mich mein Musikgeschmack in diesen Tagen zu Newton Faulkner zurückgeführt. Ich habe keine so gute Story dazu wie bei Amos Lee, ich habe ihn ganz konventionell entdeckt. Ich war beim Blue Balls Festival, mein Sinn war offen für neue Musik, ich habe den Namen auf einem Plakat gelesen, ihn gemyspaced oder so. Mein offener Sinn und ich waren sofort begeistert.
Danach habe ich ihn einfach vergessen. Für ein Jahr.
Letzten Monat habe ich eine Aufzeichnung seines Blue Balls-Konzerts gesehen. “I took it out on you” hat mich bis zur ehrlichen Rührung erschüttert. Logisch, dass ich danach beide CDs auftreiben musste. Heute ist die zweite gekommen. Bald werde ich Zeit finden, mich darauf einzulassen. Inzwischen empfehle ich wärmstens die, die ich schon kenne und liebe: “Rebuilt by humans”, erschienen 2009. Mit so was wird man heute glücklich!
So ganz nebenbei: Es lässt sich zwar in den Studioversionen nur erahnen, aber dieser Hippie ist ein fantastischer Gitarrist. Wirklich. Fantastisch!
Das wurde mir* heute zugeschickt. Der Kommentar lautete: “Das ist ja so süss! So eines will ich haben!”
Ich vermeide das Wort süss. Und ich will auch kein Baby-Faultier haben. Aber ich glaube, ich möchte eins sein!
Kann man das eigentlich nicht gut finden? Danke, M., ich hoffe, du findest bald ein süsses Faultier. Oder ein anderes äusserst liebenswürdiges behaartes Lebewesen, das am liebsten fressend und sich gelegentlich zufrieden am Arsch kratzend in deiner Wohnung rumhängt.
*Und gemäss Mailprogramm noch etwa zwanzig anderen ehemaligen Mitschülerinnen, willkommen im Privatsphärezeitalter.
Die Rahmenhandlung* ist nicht spektakulär. Sie illustriert höchstens drei Dinge, die wir schon lange wissen:
1. Jungs, die schon in der Primarschule richtig gut ein Instrument spielen, können einfach nicht kämpfen. 2. Das immergrüne Szenario einer Kneipenschlägerei: Zwei hauen sich, keiner weiss, warum und am Ende muss es wieder die Bitch regeln. 3. Und natürlich, fast unauffällig: Cello = Sexappeal**
Aber: Die Musik! So viel Wahnsinn in so wenigen Tönen. Und so viel Meisterklasse. Das muss man erlebt und durchlitten haben. Und Hausers Marketingkonzept greift dermassen unerbittlich, dass man ihm dafür sogar als Mann*** Respekt zollen darf: Beherrschen eines Instruments plus Britpop-Stirnfransen, Lederjacken und homoerotisches Gefunkel - da weiss einer, wie man Geld verdienen kann. Bra-vo!
* , die mir erst mal noch schlüssig beweisen müsste, dass sie diesen Namen verdient ** Bewusst ohne Mengenangabe. *** Ich habe das bestätigen lassen. Von einem, der sein Geld mit dem männlichsten aller Instrumente verdient. Falls Sie das auf obszöne Gedanken bringt, holen Sie Hilfe. Ich spreche von einem Schlagzeug.
Ich stand schon immer auf dieses Brief-an-sich-selber-schreiben-und-in-ein-paar-Jahren-lesen-Ding, aber das ist noch viel besser:
Ich bin ein grosser Fan meines eigenen Musikgeschmacks, deshalb höre ich mich ab und zu gern mal durch “Meine Top 35”, die iTunes freundlicherweise ständig für mich ermittelt und aktualisiert.
Heute war ich bei meinen Eltern, wo ich meinen ersten iPod fand, der nun gut zehn Monate lang nie an mein iTunes angeschlossen war. Auf dem ganzen Weg zurück in mein neues Zuhause hörte ich mich also durch meine Top 35 von damals - die Songs*, die mich vor zehn Monaten glücklich oder sonstwie betroffen gemacht haben. Das ist so ähnlich wie ein Brief von früher. Und hat mich auf eine Idee gebracht, die ich gerne teilen will. Liesenhausens Ratschlag für ein besseres Leben No. 352: Speichern Sie jährlich einmal** die “most played”-Liste des Musikwiedergabeprogramms Ihres Vertrauens in einem eigens dafür angelegten Ordner. Staunen und Wiederentdecken garantiert.
Es gibt offenbar vier Songs, die über die letzten zehn Monate in meiner Top 35 verblieben sind. Und das ist die Art von Statistik, die mich interessiert. Das Verrückte ist: Zu jedem der Songs gibts mindestens eine Geschichte. Und sie fallen einem alle wieder ein. Probieren Sie’s aus!
*Natürlich war der Akku voll geladen. Ist ja mein iPod.
**Zum Beispiel immer zu Weihnachten.
*** Like a rolling stone (Bob Dylan), It’s about time (Jamie Cullum), Perfectly Lonely (John Mayer), This old heart of mine (The Isley Brothers)
Ich erwarte mit Grauen den Tag, an dem John Mayer vor lauter Talent einfach explodiert. Dieses Video ist aus dem Jahr 2005, und es war da schon kaum zu glauben. Heute ist er ja noch besser, aber auch nicht mehr sympathisch. Muss er wohl gar nicht mehr sein.
Trotz allem führt kein Weg daran vorbei, diesen Song zu lieben. Wo er recht hat, hat er recht.
Nun, das ist eigentlich eine ganze Spezies. Eine rare, aber wertvolle, wie in diesem Beispiel durch ihren würdigen Repräsentanten Albi Saner eindrücklich bewiesen wird. Natürlich ist es für den Genuss dieses Glücksmoments in der Geschichte der Sportberichterstattung förderlich, wenn man auch noch gerade YB-Fan ist*. Aber diese Hingabe müsste eigentlich ganz unabhängig von der eigenen Fan-Liibli-Farbe jeden überzeugen. Prädikat: Super.
Und ganz nebenbei wird hier auch das Klischee vom emotionsarmen Berner Tröchni schon mal ansatzweise demontiert. Es gibt also noch Hoffnung.
“Do something drastic to rid your world of plastic.”
Tim Minchin ist ein politisch hochgradig unkorrekter Komiker, sauguter Pianist und grossartiger Wortkünstler. Seit er nach einer Rockstarparodie beschloss, die Haare, die Röhrenjeans und die Schminke gleich dranzulassen, ist er auch mächtig erfolgreich im angelsächsischen Raum. Ich warte noch darauf, dass er den atheistischen Missionierungszwang ablegt, um ihn endgültig als einen der lustigsten Menschen der Welt klassieren zu können. Die Altersmilde wird da hoffentlich helfen. Doch nun zur Idee:
Dieses Video ist schon recht alt. Aber es hat nichts von seiner Aktualität und Ironie eingebüsst. Kenner des ungepflegten britischen Humors fühlen sich vielleicht an Russell Brand erinnert, der es wiederum in seiner Rockstarparodie mit dem 4-Chord-Song “We gotta do something” auf den Punkt brachte. Das hier ist aber noch älter und noch besser. Ich finde es ja auch super, wenn sich Rockstars* für die Umwelt engagieren. Aber Rockstars gibts nicht gerade viele, und beim Verschleiss von Plastiktüten macht nun mal die Masse, sprich: das gemein(t)e Volk den Unterschied.
Ich mag diese Baumwollsäcke nicht sehr. Die erscheinen mir unhygienisch und haben bestimmt eine mindestens so fragwürdige Ökobilanz wie Biobaumwollshirts. Also habe ich beschlossen, diesen Sommer immer einen Plastiksack dabeizuhaben. Einen von zu Hause. Der braucht kaum Platz in der Tasche. Und wenn ich etwas kaufe, sage ich dem Frölein “Nein danke, ich brauche kein Seckli” und nehme den hervor und packe es da rein. In meinen alten Plastiksack, wo vorher schon mal H&M-Kinderarbeits-Unterhosen oder Müller-Haarshampoo drin waren. Recycling ohne Wegwerfen ist das. Das wird wirklich super.
*Es ist hier eine formelle Warnung vor dem inflationären Gebrauch dieses Adelstitels angebracht. Hier ist sie, genau hier.
Sie fühlen sich nicht wohl? Sie sind betrübt und unzufrieden mit ihrer aktuellen Lebenssituation? Sie haben das Gefühl, schon seit Jahren nicht mehr so unattraktiv gewesen zu sein? Sie suchen nach Vergessen, Zerstreuung und Aufmunterung?
Dr. Wundermann hat erstmals Einblick in ihre persönlichen Methoden der Akutdepressionsbewältigug gewährt. Folgender Link hat sich in Vergangenheit und Gegenwart stets bewährt:
Verblüffende Wahrheiten - Barlow erklärt den Krieger
Für die Glücklichen unter euch, die der Sucht noch nicht verfallen sind, wird dies kaum grossen Witz bergen. Für Agonisten und andere Zocker: Freut euch des Lebens…
Nein, nicht von Silbermond. Sondern meine liebste Szene aus einem ganz aussergewöhnlichen Film, der einem noch viel aussergewöhnlicheren Buch nachempfunden ist…
Warum man nach Mitternacht keine sentimentalen Videoclips anschauen sollte
Das Konzept ist simpel. Grosser Held kämpft auf brennenden Schlachtfeldern. Sein Mädchen wartet zu Hause auf ihren edlen Ritter, muss aber vernehmen, dass dieser den heutigen Kreuzzug gegen das Feuer nicht überstanden hat. Dem geneigten Konsumenten der Geschichte wird im nächsten Moment offenbart, dass dies ein fataler Irrtum war. Keine dreissig Sekunden später erfährt dies auch die holde Maid, die sogleich verheult und freudestrahlend ihrem tapferen Krieger in die Arme springt.
Das Konzept ist simpel - wie kommt es also, dass die Botschaft den Menschen die Gewalt über seine emotionalen Äusserungen verlieren lässt?
Die Sachlage ist nach der ersten Strophe bereits klar: Vormittägliches Herumalbern zweier Verliebter wird von Telefonanruf unterbrochen. Mann muss sofort zum Feuerwehreinsatz einrücken, Frau schmollt, weil sie sich aufs gemeinsame Blaumachen gefreut hatte. Refrain. Frau betrachtet im Fernseher Bilder der Brandkatastrophe und erhält einen Anruf, der sie offenbar in Kenntnis davon setzt, dass ihr Liebster nicht mehr aus den Flammen geborgen werden konnte. Derweil kraxelt erwähnter Liebster heldenhaft mit einem bewusstlosen Kameraden über der Schulter aus dem rauchenden Herzen der Zerstörung heraus. Refrain. Feuerwehrbrigade trifft beim Haus der Witwe ein, scheinbar um ihr zu kondolieren - doch, oh Wunder, ihr verloren geglaubter Herzbube erscheint ebenfalls - Ende der Geschichte.
Natürlich, wir geben nicht zu, dass diese Vier-Minuten-Geschichte uns zu berühren vermag. Nein, nein, wir haben nur etwas im Auge. Denn Softies und kitschgeile Tussis kann man damit ködern, aber nicht uns Durchschnittsmenschen von heute. Nein, wir sind härteren Stoff gewohnt als bloss ein bisschen Waldbrand. Und mit Verlusten muss man eben rechnen, selbst wenn sie menschlicher Natur sein sollten. Oder sind wir vielleicht bloss verwöhnt? Gesegnet, noch nie in eine vergleichbare Lage geraten zu sein?
Man hört die Frau förmlich denken: ‘Deine 24-Stunden Jobpräsenz geht mir gewaltig auf den Wecker.’ Dieser unausgesprochene Vorwurf entgeht bestimmt auch ihrem Mann nicht - und kurz darauf ist sie mit dem Gedanken konfrontiert, dass dies das Letzte gewesen sein könnte, wass sie ihn spüren liess. Die Nachricht seines Todes scheint ihr das Genick zu brechen. Angesichts der Tatsache, dass eine Naturgewalt und der unglückliche Umstand seiner Berufswahl ihr das Liebste entrissen haben, reagiert sie mit ohnmächtigem Zusammenbrechen.
Doch welcher abgebrühte Durchschnittskonsument wird sich in ihre Lage versetzen, um ansatzweise zu erahnen, mit welcher Wucht einen ein solcher Schlag ausser Gefecht setzt? Nein, wir schalten weiter. Der Emotionsausverkauf unserer Massenmedien hat längst zu einer Verrohung geführt, die verhindert, dass eine solche Geschichte noch als eindrücklich empfunden wird. Schade, Nickleback.