Nackenhaare auf 90°.

Die Rahmenhandlung* ist nicht spektakulär. Sie illustriert höchstens drei Dinge, die wir schon lange wissen:

1. Jungs, die schon in der Primarschule richtig gut ein Instrument spielen, können einfach nicht kämpfen.
2. Das immergrüne Szenario einer Kneipenschlägerei: Zwei hauen sich, keiner weiss, warum und am Ende muss es wieder die Bitch regeln.
3. Und natürlich, fast unauffällig: Cello = Sexappeal**

Aber: Die Musik! So viel Wahnsinn in so wenigen Tönen. Und so viel Meisterklasse. Das muss man erlebt und durchlitten haben. Und Hausers Marketingkonzept greift dermassen unerbittlich, dass man ihm dafür sogar als Mann*** Respekt zollen darf: Beherrschen eines Instruments plus Britpop-Stirnfransen, Lederjacken und homoerotisches Gefunkel - da weiss einer, wie man Geld verdienen kann. Bra-vo!





* , die mir erst mal noch schlüssig beweisen müsste, dass sie diesen Namen verdient
** Bewusst ohne Mengenangabe.
*** Ich habe das bestätigen lassen. Von einem, der sein Geld mit dem männlichsten aller Instrumente verdient. Falls Sie das auf obszöne Gedanken bringt, holen Sie Hilfe. Ich spreche von einem Schlagzeug.

We are hardcore.

Das Wort gefiel mir schon immer, weil es so gerne von hühnerbrüstigen Pubertierenden benutzt wird, um irgendwelche Aktionen zu kommentieren, für deren Inangriffnahme meist eine anteilsmässig variable Mischung aus Mut und jugendlicher Blödheit* vonnöten ist. Etwa:

“Du, dem sein Cousin der ist letzten Sommer im Fall ab der Monbijoubrücke gegumpt.” - “Whoa, echt? Hardcore, mann!”**

Viel stärker als von Pubertierenden wurde mein lexikalisches Feld des Ausdrucks “hardcore” von Musik geprägt. Wikipedia listet verdankenswerterweise unter dem Begriff die folgenden Stile auf: Hardcore Punk, Hardcore Techno, Hardcore Elektro, Hardcore Hip Hop, Hardcore Metal, Hardcore Rap, Industrial Hardcore, Hardcore bla bla bla. In keine dieser Sparten, nicht mal am Rand einer solchen, ist das einzuordnen, was ich gestern gehört habe***. Doch ich habe erkannt, dass hardcore gar nichts mit dem Musikstil zu tun hat. Ja, wir waren auf einem Pop-Konzert. Nun, eigentlich kein Konzert, sondern eine Art Zirkusvorstellung mit erstaunlich viel Musik und grandiosen Videoanimationen. Alles war bunt und funkelnd, riesige Puppen tanzten auf der Bühne, irgendwann regnete es goldene Konfetti, der Sänger trug lila Unterhosen und die Hälfte des Publikums Leggings in Farben, die eigentlich nach den 80ern vorsorglich (da sich die Geschichte immer wiederholt) hätten verboten werden müssen. Aus zwei Gründen war die ganze Aktion trotzdem hardcore:

1. Keine 24 Stunden vor Konzertbeginn hatte sich mein silbern bezylinderter Begleiter einer Blinddarmoperation unterziehen müssen. Trotzdem stand er aufrecht da, hübsch herausgeputzt und bester Laune, inklusive tierischer Schmerzen bei jedem Lacher. Das ist echte Leidenschaft.

2. Ich lief den ganzen Tag ohne Hosen in der Stadt herum. Ich hatte keine Möglichkeit, mich zwischen Uni und Konzert umzuziehen, also wurde dem Kostüm fürs Konzert**** der Vorzg gegeben. Ich war also in Leggings an der Uni, nur um am Abend gut auszusehen. Für meine Verhältnisse ist das hirnrissig. Aber das ist voller Einsatz.

Ausserdem ist es auch ziemlich hardcore, eine solche Show fast fehlerfrei dreisprachig durchzumoderieren, während man völlig sauber singt und klaviert und mimt und herumpost und tanzt wie ein Derwisch. Dieser Mika ist ein genialer Saucheib, und von der Musik halte jeder, was er wolle. We are golden - amen.




*Leichtsinn" wäre ein zu weiches Wort. Wirklich, die machen zum Teil recht blödes Zeug!
**Nein, der Dialog ist nicht ganz frei erfunden.
***Selbst wenn da, zu meiner leichten Enttäuschung, auch viel elektronische Unterstützung dabei war.
****, das auf Wunsch des entblinddarmten Freundes möglichst golden zu sein hatte,

Banause.

Ich bin eine Banause. Jetzt weiss ich es ganz sicher. Ich verstehe gar nichts von Kunst, deshalb kann ich neunzig Prozent dessen, was unter diesem Begriff daseinsberechtigt ist, nicht gebührend würdigen. Und, ganz wie eine richtige Banause, schäme ich mich auch nicht dafür, nichts zu verstehen. Es ist mitnichten so, dass ich phantasielos oder interpretationsfaul wäre. Aber ich fühle mich eben einfach wohler, wenn es auch wirklich etwas zu interpretieren gibt. Deshalb beschränke ich mich meistens auf das, was ich verstehe. So wie sie:

Kultur.



Wenn man wollte, könnte man in Paris jede Menge hochstehende Kulturanlässe besuchen. Es gibt auch richtig viele Leute, die das wollen und tun. Die schauen sich dann für 60 Euro die zweifelsohne sehr erbauliche Inszenierung eines Molière-Stückes an - schau mal Martheli, jetzt sind wir in Paris, da passt das doch - und gehen nachher zurück ins Hotel, ohne etwas von der Kultur mitbekommen zu haben. Da schmerzt es gewaltig, in der Tube Métro Rivoli am gleichen Abend sechs betrunkene Armenier zu hören, die herzzerreissende Heimatlieder singen und jeden umarmen, der ihnen ein paar Sou in den Hut legt. Abgesehen von der unter Alkoholeinfluss geschmälerten Sangesqualität waren sie richtig gut, in dem was sie taten. Sicher nicht vergleichbar mit einer Molière-Inszenierung, aber auch nicht unbedingt weniger wert. Mir haben sie jedenfalls für eine Viertelstunde das Herz geöffnet.



Morgen, bzw. heute findet übrigens in ganz Frankreich die Fête de la musique statt. Man stelle sich das vor: In allen Städten eines Landes wird einen Tag lang Musik gemacht. In den Bars, in den Strassen, auf den Plätzen vor den Regierungsgebäuden. Und niemand hat was dagegen. Danke, Sarkozy.