Reisetagebücher II.

Vielleicht fällt das Zuhausebleiben leichter, wenn man sich vor Augen führt, wo man schon war. Lieber dankbar als genervt, gell. Ich lese also gegen das Fernweh in alten Notizbüchern, die mal irgendwohin mitgereist sind.

2014 habe ich nach der Ankunft am Ziel notiert:

Wahnsinn, wie schnell man so ganz woanders ist. Im Radio sind religiöse Gesänge in Arabisch nur Milimeter des Tuning-Rädchens von Dire Straits entfernt. Da liegt sonst mehr dazwischen.

Es gibt am Buffet der Dekadenz nur wenige süssere Delikatessen als das Über-Grosstädte-Fliegen bei Nacht. Diese Muster, die die verschwenderisch beleuchteten Hauptverkehrsachsen ins Land zeichnen. Tel Aviv und Haifa: wunderschön. Kreta und Santorini haben geschimmert wie ein leises Versprechen.

Wer fühlt sich wohl einsamer bei Nacht, das Kreuzfahrschiff oder das Flugzeug? Ob die beiden einander manchmal heimlich beneiden?

Der Taxifahrer Hassan und ich können uns nur bruchstückhaft verständigen. Sein unangefochtener Lieblingsausdruck ist «no problem». Er beschreibt, wo er wohnt, und sagt, er habe keine Frau. «No wife, no problem», sage ich. Er schaut traurig. Ich schäme mich ein bisschen.

Die Rushhour in Amman ist zwischen fünf Uhr morgens und zwei Uhr nachts.

Bygdøy, Oslo, 4. August 2018

Möwen sind viel grösser, als man meint. Sie sind menschenscheu, sogar hier. Vermutlich nur, weil sie keine Ahnung haben, wie furchterregend sie mit ihren scharfen Schnäbeln eigentlich sind. Vorhin habe ich eine jagen sehen. Das Wasser hier in der Bucht ist seicht, aber der Wind und die Gezeiten bewegen es immerzu. Diese Möwe hat also vom Felsen neben mir aus ins Wasser geschaut, ist dann aufgestiegen, hat mit einigen prekären Manövern den Wind ausgetänzelt wie ein Boxer seinen Gegener, ist dann über die Wasseroberfläche gesaust und hat im ungebremsten Flug einen Fisch aus den Wellen gepflückt. Als wäre es nichts! Die hat kein Gefühl dafür, wie sehr wir sie fürchten müssten. Einmal kräftig mit diesem Schnabel in einen Menschen gehackt - und offen ist die Halsschlagader. Oder die klaffende Wunde, bereit für eine tödliche Infektion. Ich verzichte darauf, ihr das alles zu erklären. Manchmal ist es für alle besser, wenn sich jemand seiner Macht nicht voll bewusst ist.

Huk-4-August