15. Dezember 2006

Warum man nach Mitternacht keine sentimentalen Videoclips anschauen sollte

Das Konzept ist simpel. Grosser Held kämpft auf brennenden Schlachtfeldern. Sein Mädchen wartet zu Hause auf ihren edlen Ritter, muss aber vernehmen, dass dieser den heutigen Kreuzzug gegen das Feuer nicht überstanden hat. Dem geneigten Konsumenten der Geschichte wird im nächsten Moment offenbart, dass dies ein fataler Irrtum war. Keine dreissig Sekunden später erfährt dies auch die holde Maid, die sogleich verheult und freudestrahlend ihrem tapferen Krieger in die Arme springt.

Das Konzept ist simpel - wie kommt es also, dass die Botschaft den Menschen die Gewalt über seine emotionalen Äusserungen verlieren lässt?

Die Sachlage ist nach der ersten Strophe bereits klar: Vormittägliches Herumalbern zweier Verliebter wird von Telefonanruf unterbrochen. Mann muss sofort zum Feuerwehreinsatz einrücken, Frau schmollt, weil sie sich aufs gemeinsame Blaumachen gefreut hatte. Refrain. Frau betrachtet im Fernseher Bilder der Brandkatastrophe und erhält einen Anruf, der sie offenbar in Kenntnis davon setzt, dass ihr Liebster nicht mehr aus den Flammen geborgen werden konnte. Derweil kraxelt erwähnter Liebster heldenhaft mit einem bewusstlosen Kameraden über der Schulter aus dem rauchenden Herzen der Zerstörung heraus. Refrain. Feuerwehrbrigade trifft beim Haus der Witwe ein, scheinbar um ihr zu kondolieren - doch, oh Wunder, ihr verloren geglaubter Herzbube erscheint ebenfalls - Ende der Geschichte.

Natürlich, wir geben nicht zu, dass diese Vier-Minuten-Geschichte uns zu berühren vermag. Nein, nein, wir haben nur etwas im Auge. Denn Softies und kitschgeile Tussis kann man damit ködern, aber nicht uns Durchschnittsmenschen von heute. Nein, wir sind härteren Stoff gewohnt als bloss ein bisschen Waldbrand. Und mit Verlusten muss man eben rechnen, selbst wenn sie menschlicher Natur sein sollten. Oder sind wir vielleicht bloss verwöhnt? Gesegnet, noch nie in eine vergleichbare Lage geraten zu sein?

Man hört die Frau förmlich denken: ‘Deine 24-Stunden Jobpräsenz geht mir gewaltig auf den Wecker.’ Dieser unausgesprochene Vorwurf entgeht bestimmt auch ihrem Mann nicht - und kurz darauf ist sie mit dem Gedanken konfrontiert, dass dies das Letzte gewesen sein könnte, wass sie ihn spüren liess. Die Nachricht seines Todes scheint ihr das Genick zu brechen. Angesichts der Tatsache, dass eine Naturgewalt und der unglückliche Umstand seiner Berufswahl ihr das Liebste entrissen haben, reagiert sie mit ohnmächtigem Zusammenbrechen.

Doch welcher abgebrühte Durchschnittskonsument wird sich in ihre Lage versetzen, um ansatzweise zu erahnen, mit welcher Wucht einen ein solcher Schlag ausser Gefecht setzt? Nein, wir schalten weiter. Der Emotionsausverkauf unserer Massenmedien hat längst zu einer Verrohung geführt, die verhindert, dass eine solche Geschichte noch als eindrücklich empfunden wird. Schade, Nickleback.

http://www.youtube.com/watch?v=CiWUQBM91gU