Nackenhaare auf 90°.

Die Rahmenhandlung* ist nicht spektakulär. Sie illustriert höchstens drei Dinge, die wir schon lange wissen:

1. Jungs, die schon in der Primarschule richtig gut ein Instrument spielen, können einfach nicht kämpfen.
2. Das immergrüne Szenario einer Kneipenschlägerei: Zwei hauen sich, keiner weiss, warum und am Ende muss es wieder die Bitch regeln.
3. Und natürlich, fast unauffällig: Cello = Sexappeal**

Aber: Die Musik! So viel Wahnsinn in so wenigen Tönen. Und so viel Meisterklasse. Das muss man erlebt und durchlitten haben. Und Hausers Marketingkonzept greift dermassen unerbittlich, dass man ihm dafür sogar als Mann*** Respekt zollen darf: Beherrschen eines Instruments plus Britpop-Stirnfransen, Lederjacken und homoerotisches Gefunkel - da weiss einer, wie man Geld verdienen kann. Bra-vo!





* , die mir erst mal noch schlüssig beweisen müsste, dass sie diesen Namen verdient
** Bewusst ohne Mengenangabe.
*** Ich habe das bestätigen lassen. Von einem, der sein Geld mit dem männlichsten aller Instrumente verdient. Falls Sie das auf obszöne Gedanken bringt, holen Sie Hilfe. Ich spreche von einem Schlagzeug.

Grosses Glück, kalter Ärger.

Es hätte alles so schön sein können. Ich wollte die Welt darauf hinweisen, wie glücklich es mich macht, wenn mein immer wieder liebster Autor einen mir immer wieder lieben* Künstler porträtiert, interwievt, vorsichtig bejubelt, verewigt. Aber als ich den wunderbaren Artikel mit der Welt teilen wollte, stiess ich auf die folgende Nachricht:


Unsere Artikel sind ab jetzt nicht mehr gratis auf der «MAGAZIN»-Webseite zugänglich. Dafür ist «DAS MAGAZIN» ab sofort auch als iPad-Version erhältlich. Die digitale Version des «Magazins» umfasst zusätzliche Texte, Bilder und Videoclips. Der Preis pro Ausgabe beträgt 1.10 Franken.


Was bitte soll ich mit einer s. v. iPad-Ausgabe für einen Stutz zehn? Ich will das richtige Ding, im Digitalformat, jederzeit, in voller Länge, um es zum Beispiel meinen Freunden zu zeigen, in Arbeiten zu zitieren, meinen Schülern aufzuzwingen, kurz: es unsterblich zu machen! Was seid ihr eigentlich für Deppen, die mir das versagen?

Das Dumme ist: Ich liebe euer Heft trotzdem. Trotz der gefühlten 793 Layoutänderungen, die ich schon miterlebt habe, und die ich alle ziemlich daneben fand. Ich liebe die Arbeit, die darin steckt. Ich liebe die Bilder. Ich liebe das Magazin. Und keine Tamedia der Welt kann daran etwas ändern.





*oder gar immer lieberen, man wird auch älter

Menschen, die nie sterben sollten, Teil 5: Tony Prince.

Eine Radiosendung ist dann gut, wenn man dazu nicht arbeiten kann. Als heute Nachmittag Tony “your royal ruler” Prince’s Scrapbook of Radio History live vom International Radio Festival über den Äther dröhnte, wagte der geneigte Hörer kaum zu atmen, weil man ja etwas verpassen könnte. Es könnte wirklich sein, dass ich vor Vorfreude auf den Dokumentarfilm, den der Mann gerade produziert, einfach platze.


Tony Prince ist eine lebende scheiss Legende!* Das war er bereits, als er noch an Bord der MS Caroline**, der schwimmenden Mutter aller Piratenradios als DJ amtete. Er hat so lange die vier seltsamen singenden Pilzfrisuren aus Liverpool gespielt, bis die Welt bereit war für die Beatlemania, er hat den Tod von Elvis Presley verkündet, später dann Turntables zum Musikinstrument erklärt und so ziemlich jedes musikalische Rundfunkformat revolutioniert, das uns erhalten geblieben ist.

Natürlich ist er heute ein Spiesser. Dass er immer noch mit unverhohlener Begeisterung davon erzählt, was er in seiner Zeit als DJ alles erleben und machen durfte***, dass seine butterweiche Stimme immer noch zittert, wenn er von Elvis’ schwerer Krankheit vor dessen Ableben spricht, dass er wie ein aufgeregter kleiner Junge Songs unterbricht, um noch schnell dazu zu sagen, was er vorhin vergessen hatte, das alles entschuldigt ihn aber wahrlich ausreichend dafür, dass er sich mit dem Schwinden der Jugend den Freuden der materiellen Sicherheit hingegeben und einen Haufen Geld mit Wedding TV verdient hat. Und das versetzt ihn nicht zuletzt in die Lage, uns undankbaren Jungspunden als Zeuge einer Wahnsinnsära der Musikgeschichte zur Verfügung stehen zu können. Möge er der Welt noch lange erhalten bleiben.

Ich muss es mir noch ein paar Mal sagen: Ich habe heute Tony Prince live gehört. Er hat für mich und die Welt Michael Jackson gespielt. Besser kanns eigentlich kaum noch werden.




*Die ordinäre Ausdrucksweise sowie das unnötige Ausrufezeichen seien mir vergeben. Es ist telinomal wahr!

**All jenen Unglücklichen, die den sensationellen Film “The boat that rocked” nicht gesehen haben, sei er hier wärmstens empfohlen. Die, die ihn bereits kennen, sollten ihn dringend mal wieder schauen. Tony Prince hat ihm Absolution erteilt, indem er sagte, er würde die Stimmung der Sendephase von Radio Caroline gut treffen. Nur das mit den Orgien sei so nie passiert.

***“machen durfte”, nicht “geleistet hat”,

Gezwitscher.

Twitter ist eine tolle Sache, zumindest für Personen öffentlichen Interesses*. Die anderen sollten es lassen. Ich kann selber höchstens passiv an dem Gezwitscher teilnehmen: Wo keine Fussnoten möglich sind, fühle ich mich unwohl.




*Auch von denen möchte ich aber nur die interessanten Sachen wissen. Wenn Herr Sarkozy** schreibt, er habe gerade Müsli gegessen, ist mir das egal. Wenn er aber schreibt, er habe gerade ein gutes Gespräch mit Vertretern der Bahngewerkschaft gehabt, interessiert mich das sehr. Obwohl auch das eine recht persönliche Aussage wäre.

**Wenn er tatsächlich twittern würde, würde ich ihm auch tatsächlich folgen.

Wo Milch und Honig fliessen.

Ah, Paris. Auf nichts muss man hier verzichten. Aber auch wirklich auf gar nichts:



Bekanntlich verabscheue ich diese Dinger. Man könnte ja meinen, der Gare de l'Est habe als eines von vielen logistischen Zentren der Stadt eine Ausrede, schundige Pendlerzeitungen auszulegen. Aber nein, sogar an der RER Luxembourg, einer der wenigen Métrostationen, die nur von einer einzigen Linie bedient werden, stehen solche Kasten. Und diese ‘Zeitungen’ sind sehr beliebt. Manchmal, da gruselts mich vor den Städtern.

Allerdings muss ich zugeben, dass mich das hiesige Konsumangebot völlig überwältigt. Ich bin dem Pauschaltourismus ebenso verfallen wie den Promos in der Fnac (für Zürcher: Orell Füssli hoch 3, für Berner: Jäggi hoch 5). Denn es ist Paris, und in Paris muss man auf nichts verzichten. Aber auch wirklich auf gar nichts: