Läck, können die singen!

Es ist also doch möglich. Ein ganzer Chor, der Notenlesen kann. Und der die Leute mittels einer Audition sortiert und in dem trotzdem ein freundschaftliches Klima herrscht. Ein Chor, der sich trotz hohem Niveau um die persönlichen Belange seiner Mitglieder schert. Etwas über dreissig Leute, und potz tuusig, die können singen, da fliegen dir die Löffel weg. Und ich darf jetzt auch. Juhui!

www.shelomith.ch

Einfach. Aber eben tiefsinnig.

Ja, man fragt sich schon. Sogar ziemlich. Nach einem Jahr eingehenden Studiums tausender Jazz-Standards, Neuerscheinungen im Jazz-Sektor, Minimal- und Maximal-Music, des experimentellen Jazzes und des Blablabla fragt man sich so einiges. Man kennt ja die Ursprünge. Und angesichts derer fragt man sich, wie die textlichen Inhalte derart abdriften konnten. Diese Leute, ganz am Ursprung des Jazz, die hatten echte Probleme. Zu wenig zu essen. Schläge und Demütigungen. Heimatlosigkeit. Und was ist der jungen wilden Generation erhalten geblieben von all dem, was diese Leute zu sagen gehabt hätten? Drei Themen,

1. Meine Frau ist die Beste.
2. Meine Frau hat mich verlassen und ich werde nie wieder glücklich sein.
3. Ich hab keine Kohle, a)aber meine Frau ist die Beste oder b) und meine Frau hat mich auch verlassen.

obwohl die Ausgangslage bei 3 eigentlich für den klassischen Blues reserviert ist.
Gab es denn zu Entstehungszeiten dieser oft lieblos auf irgend eine Bläserline hingepappten Texte nichts ausser Liebeswahn und Liebeskummer, wahlweise in Kombination mit Kopfschmerzen oder Geldsorgen?
An meiner Liebe für seltsame Musik hat sich nichts verändert. Ich ertappe mich bei genau solchen Fachsimpeleien mit Studienkollegen, wie ich sie früher mit Genuss parodierte und für unnötig und angeberisch hielt. Von der Aussage eines Stücks reden wir wenig, dafür von der Subdominantkadenz im zweiten End des A-Teils und wie sie auf der b-VII-Stufe plötzlich nicht mehr vermindert ist und das ist doch wie bei Monk in dem Stück mit dem 2-über-3-Intro das ja dann Keith Jarret und blablabla.
Sucht man hingegen nach etwas tiefsinnigeren Aussagen, wird man über an Langeweile grenzenden Dreiklängen fündig. So bleibt mir in Momenten der endgültigen Frustration über diese sackschwachen Texte meist nur die Rückbesinnung auf meine ersten Berührungen mit wertvoller Popmusik. Heute, wo sich jeder als Singer/Songwriter betitelt, fällt auch hier die Auswahl etwas schwerer. Trotzdem ist das Angebot gut, wenn man sich am Liebesgesülze vorbeigebuddelt hat.
In diesem Sinne meine Textzeile des Tages, aus menschlicher und primarlehrerischer Sicht und so gar nicht jazzschulkonform:

i want to know,
where children would go,
if they never learnt to be cool. (Missy Higgins, ‘Going North’)

Gewisse Süchte.

 

Trotz post-examensischer Müdigkeit und einiger menschenunwürdiger Erlebnisse im Hallenbad, auf die unsereins nicht weiter eingehen will, kann man in diesem Hause nicht schlafen. Selbst wenn man sich eigentlich seit dem Aufwachen am Morgen darauf gefreut hatte. Lange überlegen, warum das so ist, wäre allerdings eine Art Selbstbetrug. Denn um ehrlich zu sein, weiss man ganz genau, woran es liegt. Es ist Mittwoch Nacht.
Und Mittwochs, da wurde der Leidenschaft gefrönt, dem Spiel gehuldigt, der Sehnsucht nachgegeben und schlicht kräftig reingehauen. Mittwochs, da wurde gezockt. Nicht ausschliesslich mittwochs. Aber mittwochs immer. Und nun, wo man weiss, dass man ohne kann, sollte man doch überprüfen, ob man auch mit noch kann. Nur zur Sicherheit.
Da eine Diversität von Dingen einen aber vorläufig noch davon abhält, versucht man sich weiterhin tapfer abzulenken. Und geht zum Beispiel Babysitten.

Was für ein Rücken - in memoriam Romy Schneider

Fernsehabende sind etwas Eigenartiges. Man stellt sich das so gemütlich vor. Da verabredet man sich mit einem Familienmitglied, stellt Bier kalt und einigt sich auf einen hochinteressanten Ballerfilm.
Spätestens nach zwei Dritteln des Films vernimmt man dan leises Schnarchen. Man stellt also fest, dass der nahe Verwandte eingenickt ist. Vorsichtig nimmt man die halbvolle Flasche aus seiner reglosen Hand. Die Musik zum Abspann weckt ihn dann, worauf er sich verabschiedet. Spätestens hier sollte man die Gelegenheit wahrnehmen und seinem klugen Beispiel folgen.
Doch man denkt sich, das kanns noch nicht gewesen sein. Johnny Depp tot, Antonio hat die Frau verloren und Enrique Iglesias war als Schauspieler fast so untauglich wie erwartet. Also zappt man. Und trifft auf ihn, den einzig Wahren. Auf den Mann, der in den späten Sechzigern alle Deppen dieser Welt vom Platz gefegt hätte. Auf Alain Delon, diesen Arsch. In Badehosen! Da kann Romy Schneider nicht weit sein.

Ich habe viele Dinge von meiner Grossmutter geerbt, im genetischen Sinn. Ich verdanke ihr viel. Unter anderem die grenzenlose Loyalität mit dieser Göttin des europäischen Kinos, deren 25. Todestag gerade von den Medien ausgeschlachtet wird. Mir solls recht sein. Schliesslich braucht es sie jetzt nicht mehr zu kümmern und ich profitiere davon, weil ich mir mitten in der Nacht ‘La Piscine’ ansehen kann, ohne meine zeitweise schneesturmartig unterbrochene Videoaufzeichnung davon zu bemühen. Denn dieser Film ist seine Laufzeit wert. Schon allein aus anthropologischem Interesse. Diese Romy war gertenschlank, und entspräche, von der Stupsnase mal abgesehen, weitgehend einem heutigen schönheitsideal. Aber dieser Rücken! Dieser Rücken rührte mich beinahe zu Tränen. Das Schönste an ihr ist dieser Rücken. Wie der von Billy. Sie wissen schon, dieses Allerweltsregal von IKEA.

Musiktipp - Torun Eriksen

Manchmal ist alles ein bisschen schlimm. Zu viel oder zu wenig zu tun, zu warmes oder zu kaltes Wetter, zu viel oder zu wenig gegessen, und eigentlich kann man die konkrete Ursache kaum benennen.

Zum Glück hat uns Torun Eriksen erhört und ist aus dem kühlen Norden herabgeschwebt, uns ein wundervolles Album zu bringen. Auf ‘prayers and observations’ findet sich genau diese Art von Musik, die in zittriger Stimmung den Ausschlag zur guten Wende gibt.

Probehören kann man hier: http://shop.buggesroom.com/album_453

Völlig gaga

Offenbar nehmen gewisse Veränderungen in letzter Zeit erschreckende Formen an und viel Zeit in Anspruch. Veränderungen aller Art. Weil man vor lauter Veränderungen keine Zeit hat, letztere zu bemerken, wird einem so etwas meist erst in einer aussergewöhnlichen Situation bewusst.

Angenommen,(also jetzt ganz aus der Luft gegriffen,) man hopst mit neuer, zugegebenermassen seltsamer Frisur in kaputten rosaroten Hosen und einer Art ausgeleiertem schwarzem Grossmutterunterhemd im Studio umher. Angenommen, man hat auch noch Spass dabei. Ganz bestimmt wird dann ein alter Freund reinspazieren. Und vermutlich wird er versuchen, zu sagen: ‘Wir waren vor zwanzig Minuten verabredet und ich hab hier drin Musik gehört, also bin ich reingekommen’. Dazu wird es aber nicht kommen. Spätestens nach 'zwanzig’ wird er in erschrockenem Schweigen erstarren und einen von Kopf bis Fuss mustern. Dann sollte er so etwas liebenswürdiges sagen wie: 'Meine Fresse, was hast du denn an’, 'Hörst du tatsächlich den Song von diesem libanesischen Kastraten’ oder, wenns hoch kommt, 'Was zum Henker ist mit deinen Haaren passiert’. Aber nein. Ein wahrer alter Kamerad dreht nur ganz zielstrebig die Musik leiser und fragt ganz ruhig: 'Bist du völlig gaga?’


Und keine zwei Sekunden später: 'Du kannst doch keine Drehung links anhängen, wenn du auf linken Knie hochkommst.’


Ja, in so einer Situation sieht man schlagartig ein, dass man selber völlig gaga sein muss. Und man fragt sich gewiss, wie es dazu kommen konnte. Früher war man ja nur ein gesellschaftsfähiges Bisschen gaga. Dann gibt es zwei Möglichkeiten. Man stürzt sich in eine heftige Identitätskrise und bricht den Kontakt zu all seinen Freunden ab. Oder man beschliesst einfach, dass völlig gaga auch völlig ok ist. Zumindest, bis die Haare nachgewachsen sind.

Ja! Ich bin verliebt!

Dieser junge Mann wird eines Tages zu denen gehören, die einen durch blossen Körpereinsatz zu Tränen rühren. Und ausnahmsweise ist dies kein Bisschen anzüglich gemeint. Ich fühle aufrichtige Liebe zu diesen in der Vervollkommnung begriffenen Bewegungen. Oh ja. Es gibt wenige Dinge, die mich vergessen lassen, wie überaus cool und trendigbedingt unnahbar ich doch sein sollte. Aber Männer, die so tanzen, gehören dazu. Wenn der erst mal gross ist! vielleicht sollte ich eine kleine Reise machen. Denn in zehn Jahren wird es ein Vermögen kosten, ihn live zu sehen…

18. April 2007

Was es nicht alles gibt…

Kurz und bündig: Der Tag ist gekommen, um den äusserst lustigen Sloganizer mit einem Eintrag zu würdigen. Schaut doch mal vorbei.

generiert von Sloganizer

10. April 2007

Lisa macht Ferien

Jawoll! Die ersten ‘Rückreisewellen’ quälen sich den Gotthard hinauf, kilometerlange Staus demontieren die Gesamterholung der Osterausflüge, zu langes Sitzen im Auto zerknittert die mit Nivea-SunTouch auf braun getunte Haut. All das wird gekrönt von der niederschlagenden Gewissheit, dass morgen wieder der Alltag anfängt. Ausserdem waren die Kinder im Urlaub so friedlich, und das Gequengel kündigt sich auf dem Rücksitz schon an. Und bei der schlechten Luft zu Hause wird der herzliebste Stirnrunzler am Steuer bestimmt auch wieder lauter Schnarchen. Seufz. Das Einzige, was einigemassen versöhnlich stimmt, ist, dass hunderte Familien dieses Schicksal teilen.

Und was tu ich? Ich fahr in den Süden. Nach einer fast sechsmonatigen Zeit der ungetrübten Vorfreude. Und ausgerechnet jetzt fällt mir die Bürde meiner Geburt in den Rücken. Denn ich bin eine Frau. Und Frauen machen sich vor Urlaubsreisen nun mal Sorgen.

Diese völlig natürliche Vorurlaubspanik erfasst mich also heute gegen zwei Uhr in der Früh. Werde ich in dieser äusserst hässlichen Sprache erklären können, dass meine Allergikerhaut im Kontakt mit den gängigsten Wundsalben mit eitrigen Blasen reagiert, während ich Herrn Campingplatz meinen blutenden Unterarm hinstrecke? Und wie will ich zu einem blutenden Unterarm beim Ananas-schnitzen kommen, wenn wir kein anständiges Küchenmesser dabeihaben? Und wie transportiert man sowas? In Tupperware?

Völlig aufgelöst beginne ich also, eine Liste zu verfassen, was ich alles nicht vergessen darf. Ich werde bestimmt beim Packen schon wieder vergessen haben, wo sie ist. Aber immerhin beruhigt es. Und dann rufe ich wenige Stunden nach zwei in der Früh meinen leidgeplagten Begleiter an und konfrontiere ihn mit meinen Sorgen. Er lacht mich aus und findet, ich klänge wie meine Mutter.

Und da fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Mutter, wie konnte ich nur je auf die hirnrissige Idee kommen, ohne dich Campen zu gehen?! Und auf der Liste schreibe ich unter Brotmesser, Kühltasche und Korkenzieher mit zittrigen Fingern:

'Mutti forever’.

28. Februar 2007

Dr. Wundermann empfiehlt

Sie fühlen sich nicht wohl? Sie sind betrübt und unzufrieden mit ihrer aktuellen Lebenssituation? Sie haben das Gefühl, schon seit Jahren nicht mehr so unattraktiv gewesen zu sein? Sie suchen nach Vergessen, Zerstreuung und Aufmunterung?

Dr. Wundermann hat erstmals Einblick in ihre persönlichen Methoden der Akutdepressionsbewältigug gewährt. Folgender Link hat sich in Vergangenheit und Gegenwart stets bewährt:

http://www.rathergood.com/moon_song/

24. Februar 2007

Gewaltfantasien einer Primarlehrerin

Neulich in der Schule, da kam es über sie. Zwischen Eisbahn und Bahnhof, unter latentem Zeitdruck. Sie packte einfach zu, als der blöde Rotzer zum dritten Mal an den pinkverzierten Pferdeschwänzen seiner Klassenkameradinnen zog, weil diese auf seinen Befehl, das Singen einzustellen, nicht reagiert hatten. ‘Frag sie doch freundlich’, das war ihr erstes Anliegen. Beim zweiten Mal hatte sie ihm mit sogar für einen Zweitklässler umissverständlicher Bestimmtheit Einhalt geboten. Und beim dritten Mal hatte sie ihn am Nacken gefasst, wie eine Katzenmutter, die ihre Jungen an einen sicheren Ort tragen muss. Einfach gepackt und zugedrückt. Gerade fest genug, um einen Zweitklässler zum schweigen zu bringen. Mucksmäuschenstill trottete der Junge unter den schauerlichen Jaulgesängen seiner Kameradinnen zum Bahnhof. So still, dass er ihr schon fast wieder leid tat. So still, dass sie sich fragte, ob dies wirklich ein geeigneter Beruf für sie sei. Denn was wäre geschehen, wenn er ein viertes Mal Ärger gemacht hätte? Kann sie leugnen, dass sie die Köpfe der beiden Viertklässler, die danach über ihn lachten, nicht am liebsten bei den Haaren gefasst und zweimal kurz zusammengeschlagen hätte?

Natürlich tat ihr diese Vorstellung in der nächsten Sekunde wieder leid. Und doch, bestimmt hätte das gewirkt. Sogar ohne grossen Schaden anzurichten. Manchmal, ja manchmal sehnt sie die Zeiten des Rohrstocks herbei. Es lebe die rückständige Schulmeisterei!

Haben Sie eigentlich das Zeug zum grossen Ausraster? Ich schon.

16. Februar 2007

Von Sinn und Unsinn des Wintersports

Das alljährlich gleiche Bild, wenn auch diesmal als Special Edition inklusive Kunstdünger, bietet sich in den Schweizer Bergen. Hunderte von wintersportbegeisterten Touris lassen sich von lärmigen Maschinen über die sonst so stillen Hügel in die höhe ziehen, fahren wieder runter, wieder rauf, runter, rauf, runter, après-ski… Aus marsianischer Sicht betrachtet ist dies eine recht unverständliche Tätigkeit. Wieso lässt sich jemand auf einen Hügel ziehen, nur um wieder herunterzufahren?

Verständlich, dass ein Marsmensch sich diese Frage stellt. Marsmenschliche Körper produzieren nähmlich völlig andere Botenstoffe als Erdmenschliche. Von Adrenalin und Dopaminen haben die armen Grünlinge noch nie etwas gehört (dieser Umstand erklärt auch, weshalb die Fortpflanzung via Mondsand-Reagenzglas schon seit dem Urknall die Regel ist). Dies ermöglicht ihnen eine viel kritischere, ökolgisch korrektere Sichtweise auf das ganze wintersportliche Treiben. Weshalb verunstalten wir die für uns dank des Kunstschnees nicht sichtbaren Böden, indem wir zu Tausenden drüberfetzen, sodass den ganzen Sommer kein Gras mehr darauf wächst? Weshalb geben wir Geld aus, um uns an eine unförmige Machine zu hängen, die uns den Berg hinaufzieht, wo wir doch (im Gegensatz zu den Marsianern, deren Beine via Elektroimpuls des Gehirns gesteuert werden) dasselbe mit Muskelkraft erreichen könnten?

Liebe Marsmenschen. Wir tun das, weils dazugehört. Und weils geil ist. Jawoll.

29. Januar 2007

Oh du fröhliche…

…oh du selige, verrauchte kleine Jazzwelt. Verblüffend, dass sich in einem beschaulichen kleinen Ländchen wie der Schweiz so eine Szene überhaupt entwickeln kann. Bei den hochkarätigen Ausbildungsangeboten ist die Übersättigung des Marktes trotz rarer Studienplätze leider vorprogrammiert, nichtsdestotrotz konnten sich einige Namen bisher hartnäckig im Gespräch halten. Ein sauer verdientes Privileg, von solchen Leuten unterrichtet zu werden. Interessierten sei hierzu das Internetradio unseres Bildungsinstituts empfohlen, zu finden unter www.jsl.ch.

08. Februar 2007

Im Land des Tränendrüsentango

Auf meiner Odyssee nach Österreich damals treu begleitet von fantastisch interpretierter Piazzolla-Musik, warf ich den Ausdruck ‘Tränendrüsentango’ in die Runde, wofür ich lediglich konsternierte Blicke erntete. Polarforscher, Bergbauern, Zahnärzte - unzählige Berufsgattungen werden doch nach ihrem direkten Einsatzgebiet benannt, also was bitte ist an meinem Ausdruck so unverständlich? Die menschliche Tränendrüse ist ein faszinierendes Organ, das seine Fähigkeiten am liebsten dann unter Beweis stellt, wenn wir wünschten, ohne es geboren zu sein. Wie auch immer, jedenfalls wirkt dort die Tangointerpretation des unvergleichlichen Trio Animae.
Ach so, der zweite Teil des Ausdrucks verursacht ein Problem? Tango, ist das nicht dieses schmierige Getanze, das von geschleimten Gecken und zerbrechlichen Grazien praktiziert wird, indem der Mann die Frau möglichst unkontrolliert, so dass sie ihre Beine verrenken muss, über eine Tanzfläche schleudert, um ihr dabei möglichst intensiven Körperkontakt aufzuzwingen?
Nein, meine lieben österreichischen Freunde, das ist es nicht. Das kann es sein. Aber wenn ihr euch dafür interessiert, solltet ihr besser heute als morgen beginnen, Fleischhauer zu lesen. Tango ist mehr. Tango ist weder Unterwerfung, noch Verführung, noch Zurschaustellung. Tango ist getanzte Verzweiflung.
Natürlich, es gibt auch fröhliche Tangos. Durchaus. Tangos, die man tanzt um hinterher grinsend und keuchend auf die nächste Bank zu sitzen, ein Kribbeln im ganzen Körper. Doch die Seele des Tango, diese pathetische Umschreibung sei mir gestattet, ist Verzweiflung, ist Einsamkeit, ist Zerrissenheit. Und genau das hat Jean-Christophe Gawrysiak’s Trio Animae begriffen. Ich neige mein Haupt in tiefster Dankbarkeit für die beste Scheibe in meiner Sammlung. Was ich von Tango verstehe? Nichts. Und doch alles, was nötig ist.


Trio Animae (CD 'Piazzolla - Tres minudos con la realidad’) www.trio-animae.com
Wolfram Fleischhauer (Buch 'Drei Minuten mit der Wirklichkeit’) www.wolfram-fleischhauer.de

Übrigens ein hübsches Geschenkset für lesewütige Mütter. Auch für solche, die nicht tanzen können.

18. Januar 2007

Bahnbrechender Fund!

Am weltberühmten musikwissenschaftlichen Institut für Wurzelkunde kontemporärer Strömungen an der alten Lützelflühstrasse wurde eine grosse Entdeckung gemacht. Neuerdings wird die Kategorie der Flachlegersongs nach ‘sentimental’ und 'versaut’ unterteilt, wo zuvor eine wesentlich undifferenziertere Kategorie mit Marvin Gaye als unbestrittenem König zu finden war. Den Trohn in der Wertung 'versaute Flachlegersongs’ hat letzterer noch immer inne, jedoch wurde ihm in Sachen Globaler Herzerwärmung der Rang heute morgen abgelaufen.

Der Neugekrönte ist kein geringerer als der bisher für leicht angegraut gehaltene Donny Hathaway. Nach eingehendem Studium seiner auf 1970 datierten (als ihn noch kein Schwein kannte, anm. d. Red) Scheibe 'Everything is Everything’ muss jegliches Vorurteil, das auf späteren Aufnahmen basiert, revidiert werden. Herr Hathaway ist seit heute also König der Flachlegerei des Herzens.

Einige Ausgewählte aktuelle Klassierungen:

Hauptkategorie: Titel: Interpret:

Perfekter Popsong Glass Gavin DeGraw
Gewaltigste Stimmzurschaustellung Bye Bye Blackbird Rachelle Ferrell
Abartigstes Solo (Scat) Drive Bobby McFerrin
Abartigstes Solo (Vocalese) The Beauty of All Things Kurt Elling
Kränkste Sau Bach Prelude in Cmaj Bobby McFerrin
Schönste Ballade (Jazz) Gloomy Sunday Billie Holiday
Schönste Ballade (R&B) Forget Regret rh factor feat. Steph McKay
Versautester Flachlegersong Let’s get it on Marvin Gaye
Sentimentalster Flachlegersong Je vous aime Donny Hathaway

17. Januar 2007

Geständnisse aus der Kategorie ‘Diebische Alltagsfreuden’

Da ist er nun, der grosse Tag, an dem das grosse schweizer Jazzmagazin den grossen Schritt tut, einen grossen Namen erstmals abzudrucken. Ziemlich klein, ehrlich gesagt. So klein, dass man ihn suchen muss, um ihn zu finden. Aber er steht da. Unverrückbar. Und richtig geschrieben. Das allein macht dieses Ereignis und alles damit verbundene gross, gross, gross. Nicht grossartig, denn dafür müsste erst etwas geleistet werden. Aber gross ist immerhin ein Anfang.

Wie kindisch muss man eigentlich sein, um die Januarausgabe des Jazz 'n more-Magazins ein zweites Mal zu kaufen (einmal zum lesen, einmal zum Aufbewahren für die Enkel), bloss weil unter unzähligen anderen Namen der eigene im Konzertprogramm steht?

Überhaupt nicht kindisch, finde ich. Denn wer weiss, ob es das letzte Mal sein könnte. Fakt ist, dass ich, bzw. mein Name, schon immer in dieses nette Heftchen rein wollten. Das würden wir natürlich nie zugeben. Und irgendwie ist es uns auch peinlich, meinem Namen und mir. Ich spreche übrigens mit seiner freundlichen Genehmigung an dieser Stelle für uns beide. Denn eigentlich haben wir keine Ahnung, wie wir bei dem Konzert abschneiden werden, das in diesem Magazin vermerkt ist, so dicht über ihm. Eigentlich haben wir die Hosen gestrichen voll, weil wir gar nicht da hin wollen. Aber wir stehen in dem Magazin. Leider nicht vor dem Kürzel unseres bevorzugten Instruments, aber darüber sehen wir grosszügig hinweg.

Das Schlimmste an unserer unverholenen Freude über unsere somit absolut überwältigende Medienpräsenz ist, dass sie sich noch beinahe verdoppelt hat, weil wir gesehen haben, wer eben gerade nicht in diesem wegweisenden Programm vermerkt ist. Manchmal tut es einfach zu gut, zu sehen, dass diejenigen, die einen einst überholt hatten, irgendwann zwischen damals und jetzt auf der Strecke geblieben sind. Oder um es weniger bösartig zu formulieren: Manchmal lernt man später, dankbar zu sein dafür, dass man hie und da versetzt wurde. Wären wir das nämlich beim letzten Mal nicht geworden, mein Name und ich, dann würden wir vielleicht zu denen gehören, die heute nicht im Jazz 'n more stehen. Im Jazz 'n more. Im Jazz 'n more. Im Jazz 'n more, jawoll! Schade.

Menschenskind, wie kann ein Magazin nur so einen unhandlichen Namen haben. Ich fange an zu verstehen, wieso F. P. nur noch vom 'Tschässmääg’ redet, wenn er Peewee Windmüllers Hochglanz-Reiseführer durch die Jazzlandschaft meint.

Nun denn. Genug geprotzt. Aber manchmal muss man sich eben an den kleinen Dingen im Leben erfreuen. Zum beispiel daran, dass man im Jazz 'n more…




Ok. Das wars.