Ja, man fragt sich schon. Sogar ziemlich. Nach einem Jahr eingehenden Studiums tausender Jazz-Standards, Neuerscheinungen im Jazz-Sektor, Minimal- und Maximal-Music, des experimentellen Jazzes und des Blablabla fragt man sich so einiges. Man kennt ja die Ursprünge. Und angesichts derer fragt man sich, wie die textlichen Inhalte derart abdriften konnten. Diese Leute, ganz am Ursprung des Jazz, die hatten echte Probleme. Zu wenig zu essen. Schläge und Demütigungen. Heimatlosigkeit. Und was ist der jungen wilden Generation erhalten geblieben von all dem, was diese Leute zu sagen gehabt hätten? Drei Themen,
1. Meine Frau ist die Beste.
2. Meine Frau hat mich verlassen und ich werde nie wieder glücklich sein.
3. Ich hab keine Kohle, a)aber meine Frau ist die Beste oder b) und meine Frau hat mich auch verlassen.
obwohl die Ausgangslage bei 3 eigentlich für den klassischen Blues reserviert ist.
Gab es denn zu Entstehungszeiten dieser oft lieblos auf irgend eine Bläserline hingepappten Texte nichts ausser Liebeswahn und Liebeskummer, wahlweise in Kombination mit Kopfschmerzen oder Geldsorgen?
An meiner Liebe für seltsame Musik hat sich nichts verändert. Ich ertappe mich bei genau solchen Fachsimpeleien mit Studienkollegen, wie ich sie früher mit Genuss parodierte und für unnötig und angeberisch hielt. Von der Aussage eines Stücks reden wir wenig, dafür von der Subdominantkadenz im zweiten End des A-Teils und wie sie auf der b-VII-Stufe plötzlich nicht mehr vermindert ist und das ist doch wie bei Monk in dem Stück mit dem 2-über-3-Intro das ja dann Keith Jarret und blablabla.
Sucht man hingegen nach etwas tiefsinnigeren Aussagen, wird man über an Langeweile grenzenden Dreiklängen fündig. So bleibt mir in Momenten der endgültigen Frustration über diese sackschwachen Texte meist nur die Rückbesinnung auf meine ersten Berührungen mit wertvoller Popmusik. Heute, wo sich jeder als Singer/Songwriter betitelt, fällt auch hier die Auswahl etwas schwerer. Trotzdem ist das Angebot gut, wenn man sich am Liebesgesülze vorbeigebuddelt hat.
In diesem Sinne meine Textzeile des Tages, aus menschlicher und primarlehrerischer Sicht und so gar nicht jazzschulkonform:
i want to know,
where children would go,
if they never learnt to be cool. (Missy Higgins, ‘Going North’)