Panik in der Kommentarspalte.

Ein beschauliches Heim, ein lauer Freitagabend. Es hätte so schön sein können, wird die Frau gleich denken. Sie heisst vielleicht Meier oder Hofer oder sogar Meierhofer. Sie hatte einen strengen Tag bei der Arbeit, dann einen strengen Abend mit den Kindern. Jetzt sind die im Bett, bald kommt Herr Meier oder Hofer oder Meierhofer von seiner Sitzung mit dem Ballsportverein nach Hause.

Die Frau weiss: Das ist ihr Moment. Ihre Viertelstunde, die sie nur für sich alleine hat. Zeit, sich auf den neusten Stand zu bringen. Fernsehen kommt nicht in Frage. Selbst auf der leisesten Stufe haben die TV-Geräusche die magische Fähigkeit, ihre Kinder zu wecken und daran zu erinnern, dass sie noch durstig sind / den falschen Schlafanzug anhaben / dringend nochmal aufs Klo müssen - irgend etwas eben, das ein praktisch geräuschfreies Zurückschleichen ins Wohnzimmer erfordert. Also bleibt die Alternative: Nachrichten im Internet. Frau Meierhofer tippt bloss zwei Zahlen in das Suchfeld des Browsers, schon bietet die auflagenstärkste Gratiszeitung des Landes ihre Dienste an. Sie klickt.

Die erste Schlagzeile fegt alle Gemütlichkeit aus ihrem Freitagabend. Krebserregende IKEA-Matratzen! Eventuell auch in der Schweiz! Dumm nur, das in dem Artikel nichts dazu steht. Dort ist lediglich zu lesen, dass in sechs europäischen Ländern IKEA gewisse Matratzen aus dem Verkauf genommen hat. Alles Weitere sei in Abklärung. Für Frau Meierhofer beginnt das nervöse Bangen: Schlafen etwa ihre niedlichen Engel gerade in tödlichen Betten? Sie tut das einzige, was ihr logisch erscheint: Frau Meierhofer bricht in Panik aus. Hämmert ihre Befürchtungen ins Kommentarfeld unter dem eigentlich nur aus Schlagzeile bestehenden Artikel, wo sie mit denen anderer erschütterter Leser mischen, bis sich die Angstschreie und die verzweifelten Fragen nach Modellnamen und Verkaufszeiträumen überschlagen wie schmutzige Wäsche im Schleudergang. Massenpanik in der Kommentarspalte.

Und das nur, weil die Journalisten heute schon Artikel veröffentlichen, bevor sie überhaupt wissen, was sie darin schreiben werden. Die Live-Updates des Artikels sind keine Entschädigung dafür. Wem nützt ein Bericht, den der Journalist (obwohl, heute heissts ja Content Manager, das ist nicht mit so hohen Moralvostellungen belastet) schon veröffentlicht / veröffentlichen muss, bevor er überhaupt wirklich dafür recherchiert hat?

Der Klickzähler reibt sich zufrieden die Hände, während Frau Meierhofer und all die anderen aufgescheuchten Gemüter die Seite mit dem Artikel in der Hoffnung auf echte Information wieder und wieder aktualisieren. «Mir doch wurscht, ob der Bericht nützlich ist», sagte er. Das kann ich nachvollziehen. Warum Inhalt generieren, wenn Schlagzeilen ausreichen, damit etwas geklickt wird?

Ich lade meine Pistole und schiesse dem mittlerweile fröhlich tanzenden Klickzähler ins Knie. Leicht wird es nicht werden, ihn zu besiegen.